Kurz habe ich überlegt (wie nahezu in jedem aktuellen Bericht zum Thema Inflation) historische Momente heraufzubeschwören, in denen Menschen Schubkarren voller Geld zum Bäcker karren, um einen Laib Brot zu kaufen. Das habe ich dann aber wieder verworfen. Zwar können wir einiges aus der Geschichte lernen, bisher habe ich jedoch noch keinen Geschichtsprofessor getroffen, der die Zukunft voraussagen konnte. Und damit beginnt das eigentliche Problem: Wir wissen nicht, was noch kommt.

Wir wissen nicht, ob 10% Inflation das Ende oder den Anfang einer schwierigen Zeit markiert. Wir wissen nicht, wie lange der Krieg dauert (historisch gesehen immer länger, als wir denken; das wäre etwas, was aus der Vergangenheit tatsächlich zu lernen wäre). Und wir wissen nicht, wie sich andere Rahmenbedingungen verändern. 

Was wir jedoch wissen: Wir leben in einem hochkomplexen System (von „uns“ selbst geschaffen), das unter Garantie anfällig für disruptive Ereignisse ist. Weshalb? Weil „wir“ es uns so ausgedacht haben. Wir haben im Rahmen einer gewinnorientieren Effizienzmaximierung sämtliche wirtschaftliche Pufferzonen abgebaut, denn Pufferzonen kosten meist Geld. Natürlich sind internationale Lieferketten effizient, aber wenn wir eigentlich nur noch einen Hersteller für Farbkübel weltweit haben, ist es nicht verwunderlich, dass Lieferengpässe entstehen, sobald dieser Hersteller nicht mehr liefert – obwohl genug Farbe da ist! Mit einem reduzierten Angebot steigt (im Normalfall) der Preis.

Aber was passiert eigentlich genau bei einer Inflation? Alles wird teurer, das wird es jedoch nicht einfach von selbst. Also zur Situation, in der wir uns in Deutschland aktuell befinden:

Nach der Finanzkrise 2008/2009 und vor allem auch während der Coronakrise wurde im Rahmen zahlreicher Rettungsmaßnahmen und niedriger Zinsen sehr (!) viel neues Geld in Umlauf gebracht. Betroffene Staaten (die EU) haben in Zusammenarbeit mit den Zentralbanken im wahrsten Sinne des Wortes die Druckerpressen angeschmissen. Dabei „erzeugen“ Staaten Schuldpapiere (Staatsanleihen) und die Zentralbanken kaufen diese Papiere auf. Der Staat schafft somit neues Geld für seine Rettungsprogramme (Anm.: Besser gewesen wäre ggf. ein Verkauf der Staatspapiere an Bürger, um nicht zusätzlich die Geldmenge zu erhöhen). Noch im Juli 2008 lag die Zentralbankgeldmenge (M0) in Europa bei 0,89 Bio. €, im Februar 2022 war bereits ein Stand von 6,1 Bio. € erreicht. Dies alles sollte dazu dienen, die Wirtschaft anzukurbeln, keine (längere) Rezession zu riskieren (die Geldspritze ist sozusagen eine Ibuprofen-Kokain Mischung für die Wirtschaft) und um die Inflation auf einem Niveau von 2% zu halten (die jahrelang niedriger war). Die Programme zeigten (zunächst) auch (teilweise) Wirkung, wenn auch die Finanzierungsseite sehr zu hinterfragen ist. Nicht nur aus ökonomischer, sondern auch aus rechtlicher Sicht.

Dann kamen jedoch noch ein paar weitere Rahmenbedingungen hinzu. Die Wirtschaft ankurbeln (es wird mehr gekauft) funktioniert nur, wenn auch mehr gekauft werden kann. Hafensperrungen, Lockdowns und ein europäischer Krieg haben bis heute zu zahlreichen Lieferengpässen geführt. Es lag (liegt) nicht daran, dass kein Konsumwille da war (ist), sondern dass schlicht und einfach keine Güter in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Dabei geht es nicht nur um Farbkübel. Computerchips, Medikamente, Stahl, … Die Liste lässt sich beliebig erweitern und multipliziert sich dann auf Endproduktebene. Ein Ausbau der Photovoltaik wird wieder gefördert. Das ist schön, aber fragen Sie mal Ihren Solarteur, bis wann die Anlage (vielleicht) fertig wird. Er wird Ihnen sagen, dass es keine Wechselrichter gibt. Auf so manches (Elektro-)Auto warten Sie mittlerweile länger als in der DDR auf einen Trabbi. Weitere Inflationstreiber sind:

• Zusätzlich Öl ins Inflationsfeuer wird durch die Baubranche geschüttet. Der u.a. durch anhaltend niedrige Zinsen befeuerte Bauboom hat Arbeitskräfte und Material aus anderen Branchen abgesaugt, was dort natürlich zu einer Verteuerung führte. 

• Lange Wartezeiten in Frachthäfen haben die Frachtkosten nach oben getrieben.

• Stark steigende Energiekosten (dies wird in den Medien als Hauptfaktor beschrieben, ist es jedoch nicht zwangsläufig) verteuern die Produktion.

• Aufgrund der Ausweitung der Geldmenge liegt noch immer sehr (!) viel Geld rum. Auf Bankkonten (meist), unter Kopfkissen, im Tresor, … Es wird noch mehr versucht, diese Geldhorte in Güterhorte umzuwandeln (z.B. werden seitens der Industrie die Vorproduktlager gefüllt), um sich gegen steigende Produktpreise zu schützen. Was dann zwangsläufig zu einer zusätzlich erhöhten Nachfrage und weiter steigenden Produktpreisen führt. Eine sich selbst erfüllende Vorhersage.

• Natürlich muss das Lohnniveau angeglichen werden, damit die Menschen nicht (zu viel) an Kaufkraft verlieren. Die Lohnerhöhung muss dann wieder auf die (bereits eh schon teuren) Produkte aufgeschlagen werden. Damit wird alles noch teurer… Auch hier ist ein Selbstverstärkungsmechanismus eingebaut.

• Die Inflation bedingt zudem eine „Flucht“ von Anlegern in andere Währungen (z.B. Dollar). Dies führt zu einer Aufwertung gegenüber dem Euro und macht Importe zusätzlich teuer.

• Die Politik versucht weiter mit Investitionsprogrammen (Wehretat, Energiewende, Zuschüsse, …) und neuen Staatsschulden entgegenzuhalten. Dies treibt die Nachfrage jedoch zusätzlich in die Höhe. Etwas, was wir derzeit aus „Inflationssicht“ eigentlich gar nicht brauchen (auch wenn die einzelnen Ziele natürlich richtig sind). 

Die Inflationsraten für das produzierende Gewerbe steigen derzeit in schwindelerregende Höhen. Diese werden zeitverzögert und im Normalfall nicht vollumfänglich auf den Endkonsumenten übertragen. Hier lässt sich jedoch erahnen, dass wir das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht haben.

Damit sollte die Dynamik, die sich aktuell in Bewegung setzt, weitestgehend klar sein. Aber was tun? (Fortsetzung in Teil 2, unserem nächsten Newsletter)

Quellen:

ÖAW-Lecture Hans-Werner Sinn: Die neue Inflation

Die Kautschuk Apokalypse

Handelsblatt zum Thema Inflation

EZB